RÜCKBLICK
26 aus dem #TagebucheinerTräumerin:
1982 - ich war ein schüchternes Kind, sensibel und sehr ängstlich. Ich fürchtete mich vor Monstern unterm Bett, aber auch davor, meine Tante anzurufen, um ihr auszurichten, dass meine Mutter
spät dran ist. Ich sprach kein Wort mit der Frau im Tante-Emma-Laden und hielt ihr immer nur den schweigend den Einkaufszettel entgegen. Ich grüßte den Pfarrer nicht und auch sonst keine
Erwachsenen und wäre lieber verhungert, als mir selbst eine Bratwurst auf dem Dorffest zu kaufen.
Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, wie viel Mut es mich an diesem Tag 1982 kostete, als ich beschloss, meine erste Geschichte vor Publikum vorzulesen. Der Titel lautete "Die fliegende Oma" und
ich hatte sie extra auf einer alten Triumph-Schreibmaschine getippt. Ich war acht Jahre alt und fest entschlossen, Schriftstellerin zu werden. Als Rahmen für meine erste Lesung schien mir
ein Kaffeekränzchen passend. Meine Mutter hatte alte Tanten eingeladen und ich wartete mit Herzrasen auf meinen Auftritt. Ich sehe sie noch heute um den gedeckten Tisch sitzen. Sie reden über
Dinge, die ich verstehe oder die mich nicht interessieren. Meine Mutter kündigt mich an. Ich setze mich, spüre die unerträglichen Blicke auf mir. Es ist kaum auszuhalten im Rampenlicht. Ich
möchte unsichtbar sein, aber ich wage es und lese. Ob es ihnen gefallen wird? Erst lauschen sie, dann - ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe, brechen sie in lautes Gelächter aus, sie
kriegen sich fast nicht mehr ein vor Lachen. Meine Geschichte ist aber nicht lustig. Dann gibt es nur eine logische Erklärung. Sie lachen mich aus. Ich fühle mich nackt und gedemütigt und
unendlich traurig.
Es war meine erste und letzte Lesung - für viele, viele Jahre.
P.S. Natürlich weiß ich heute, dass Tanten es nicht böse meinen, sie mich auch nicht ausgelacht haben, sondern das kleine Mädchen wahrscheinlich unglaublich putzig fanden. Aber als Kind habe ich
das nicht verstanden. Sie haben mich in meinem Glauben an mich selbst erschüttert, Selbstzweifel gesät.
Daher mein Appell an alle Erwachsenen: Nehmt Kinder ernst und zollt ihren Träumen Respekt!